The Big Four – The Big Four Live From Sofia

The Big Four: Metallica, Slayer, Megadeth, Anthrax

Revolutionäre Riffs, Platin-Alben und über die Öffentlichkeit ausgetragene Privatfehden – die Geschichte von Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax (als Erfinder und Wegbereiter des Thrash Metal auch gemeinhin als ‚The Big Four‘ bekannt) könnte kurioser und spektakulärer kaum sein. Entsprechend ungläubig und begeistert fielen im Dezember 2009 die Reaktionen auf die Bekanntgabe von gemeinsamen Shows im Rahmen der ‚Sonisphere Festivals‘ aus. Die gemeinsame Show aus der bulgarischen Hauptstadt von Sofia vom 22. Juni 2010 wurde nicht nur in Kinosääle weltweit übertragen, sondern nun auch auf ein eindrucksvolle DVD-Paket in bester Soundqualität und mit zahlreichen Gänsehautmomenten gepackt. Centerpiece: vier Bands, vier Shows, ein gemeinsames Highlight.

Anthrax eröffnen mit „Caught In A Mosh“ und einem Joey Belladonna in Bestform. Das Quinett um Graubart Scott Ian war in letzter Zeit vor allem durch hektische Wechsel an der Sängerfront aufgefallen, spielt sich aber hier frei. Ob „Got The Time“, „Antisocial“ oder „I Am The Law“ – es setzt Hit auf Hit. Sogar „Only“ aus der Bush-Ära funktioniert überraschend gut, obwohl Belladonnas Organ diesem Metal-Klassiker nur bedingt gewachsen ist. Anthrax setzen außerdem ein erstes emotionales Highlight. Mitten unter „Indians“, für das Belladonna wieder den Kopfschmuck ausgepackt, spielt das Quintett „Heaven And Hell“ an als Tribut für den einen Monat zuvor verstorbenen Ronnie James Dio, dessen Black Sabbath-Inkarnation (besser bekannt als Heaven & Hell) ebenfalls in Sofia hätte auftreten sollen; Gänsehaut und Pommesgabeln, wohin das Auge reicht.

Mit einem gut gelaunten Dave Mustaine leiten Megadeth den zweiten Akt ein. Ein kurzes „Here we go“ vom Rotschopf und wie auf Kommando öffnet der Himmel seine Schleusen. Schwere Regenfälle begleiten – passend zum 20jährigen Jubiläum von „Rust In Peace“ – „Holy Wars…The Punishment Due“ und „Hangar 18“. Mit dem heimgekehrten David Ellefson am Bass schlägt eine wahre Allstar-Mannschaft auf der Bühne auf – an technischer Brillanz sind Megadeth heute nicht zu toppen. Mustaine ist überaus gut gelaunt und spricht von einer bedeutsamen Nacht für ihn – angesichts seiner gemeinsamen Vergangenheit mit Metallica ein großer Moment. Einzig das rasiermesserscharfe „Head Crusher“ vom aktuellen Album „Endgame“ hat es in die Setlist geschafft, die so ziemlich alle Klassiker zu bieten hat: „In My Darkest Hour“, „A Tout Le Monde“, „Trust“, „Symphony Of Destruction“ und natürlich „Peace Sells“. Wie sich Mustaine und Chris Broderick die Soli um die Ohren feuern, beeindruckt – laute „Megadeth“-Sprechchöre in jeder Pause oder eingeschobenem Breakdown inklusive. Überhaupt musst man dem bulgarischen Publikum ein großes Kompliment aussprechen – alle Bands werden lautstark abgefeiert, Textzeilen mitgebrüllt, Soli und Riffs gesungen. Rio de Janeiro hat mächtige Konkurrenz bekommen.

Slayer sind Slayer sind Slayer sind Slayer – und in letzter Zeit so etwas wie die Sorgenkinder der alten Thrash-Monster gewesen. Die gesundheitlichen Probleme Tom Arayas – der gute Mann hat Rücken und darf nicht mehr bangen – sind im deutlich reduzierten Stageacting sichtbar. Auch die altbekannten Stimmprobleme scheinen nicht gänzlich umwunden zu sein, werden durch die eine oder andere ausgelassene Textzeile kompensiert. Dafür gibt es ein Dankeschön an die bulgarischen Fans in der Landessprache. Und sonst? Überraschend viel neues Material u.a. in Form von „World Painted Blood“, „Jihad“ und „Beauty Through Order“, eine wild gewordene Gitarrenfraktion und ein wahnwitzig die Kessel rührender Dave Lombardo, der die Veteranen immer auf Kurs hält; wie ein Zug, der stets zu entgleisen droht, sich auf wundersame Art und Weise aber doch in der Spur hält. Entsprechend rasant und gnadenlos brutal wirkt das Quartett. Auszusetzen gibt es natürlich nichts – neben dem neuen Material stehen natürlich auch zahlreiche Klassiker wie „War Ensemble“, „Angel Of Death“, „South Of Heaven“ und das unvermeidliche „Raining Blood“ auf dem Programm. Das Licht färbt sich rot, die Menge explodiert – Slayer bleiben Slayer bleiben Slayer bleiben Slayer.

Metallica haben im Anschluss leichtes Spiel, wenn sie bei eingesetzter Dunkelheit „Creeping Death“ anstimmen. Die biblischen Plagen werden dankbar aufgenommen vom bulgarischen Publikum, das gelegentlich die Band zu übertönen droht. Spielfreude und Songauswahl stimmen – mit „That Was Just Your Life“, „Cyanide“ und „All Nightmare Long“ haben es auch drei neue Songs auf die Setlist geschafft, die natürlich von sämtlichen Klassikern dominiert wird. Ob „Master Of Puppets“, „One“ und natürlich „Sad But True“, „Nothing Else Matters“ und „Enter Sandman“ vom legendären schwarzen Album – so und nicht anders. Der Übergang zum Solo von „Fade To Black“ wird aus tausenden Kehlen mitgesungen, zu „Blackened“ wird das Haupthaar heftig geschüttet und bei „For Whom The Bell Tolls“ ist kollektive Ekstase zu notieren.

Wenn bereits bei Anthrax von einem ersten emotionalen Highlight gesprochen wurde, gibt es gegen Ende des Metallica-Sets eben jenen Moment, auf den wohl die ganze Metalwelt gewartet hat: die Big Four betreten fast komplett (einzig Slayer sind nur durch Dave Lombardo vertreten) die Bühne und jammen zum Diamond Head-Klassiker „Am I Evil?“ – die Hymne jener Band, die einen jungen Lars Ulrich Anfang der 80er dazu bewogen hat eine Band zu gründen. Mustaine und Hetfield stehen Seite an Seite, während Belladonna mit leichten Textschwierigkeiten und unnachahmlicher Mimik für ein wenig unfreiwillige Komik sorgt. Und doch weiß man gerade Großes erlebt zu haben. Der Abschluss mit „Hit The Lights“ (der erste Metallica-Song überhaupt) und der legendären Hymne „Seek & Destroy“ ist für die vier Platin-Legenden aus der Bay Area schließlich Routine, eine gelungene Kür.

Abgerundet wird das Paket von einer ca. 45minütigen Doku, die vor allem auf Backstage-Einblicke setzt, die Bands beim Proben, bei Meet & Greets und kurzen Unterhaltungen zeigt. Wann hat man schon mal James Hetfield im Slayer-Zelt gesehen? Ebenso erfährt man, warum Megadeth-Drummer Shawn Drover über die starken Regenfälle besonders unglücklich gewesen sein dürfte. Keine Frage, für Metalfans ist „The Big Four Live From Sofia“ ein Muss – egal ob als Doppel-DVD oder Blu-Ray. Für den etwas größeren Geldbeutel darf es auch die limitierte Box sein, die unter anderem alle vier Konzerte auf fünf CDs und einen exklusiven „Big Four“-Pick beinhaltet. Bild, Ton, Präsentation und Inhalt stimmen – ein großartiges, sehr sorgfältig zusammengestelltes Paket eines geschichtsträchtigen Abends.

VÖ: 29.10.2010
Universal Music

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