Michael Jackson – Xscape
Einen Plattenvertrag über 250 Millionen Dollar abzuschließen, der vorsieht, bis zum Jahr 2017 insgesamt zehn Alben zu veröffentlichen, davon träumt ohne Frage jeder Künstler. Über diese Ehre kann sich derjenige, dem sie zuteil wurde, jedoch nicht mehr wirklich freuen: Die Rede ist vom Erbe des einzigartigen King of Pop, Michael Jackson. Dessen Nachlassverwalter haben sich mit dem Labelriesen Sony Music auf diesen unglaublichen Deal geeinigt. Nachdem Ende 2010 die erste posthume CD namens „Michael“ veröffentlicht wurde, wartet man nun kurz vor seinem fünfjährigen Todestag mit dem neuen Album „Xscape“ auf, das die Handschrift erfolgreicher Produzenten wie Timbaland, Rodney Jerkins und John McClain trägt.
Ähnlich wie beim Vorgänger erwartet den Käufer in der Standardversion ein Potpourri aus acht bisher unveröffentlichten Songs, die im Studio zu einem zeitgenössischen Sound geschliffen wurden. Wer sich für die Deluxe Edition entscheidet, bekommt oben drauf jeden einzelnen Titel in der unbearbeiteten Originalversion, das Duett „Love Never Felt So Good“ zusammen mit Justin Timberlake sowie eine Bonus-DVD mit einer knapp 25-minütigen Dokumentation über den Entstehungsprozess des Longplayers geliefert. Zur besseren Übersichtlichkeit wird der Schwerpunkt im Folgenden auf die nachbearbeiteten Tracks gelegt.
Gleich bei der ersten Single-Auskopplung „Love Never Felt So Good“ fühlt man sich unweigerlich in die erfolgreichste Zeit Jacksons, Anfang der 80er Jahre, zurückversetzt. Den verträumt beginnenden Popsong mit Disco-Anleihen à la Jackson Five nahm der 2009 verstorbene Ausnahmekünstler im Jahre 1983 zusammen mit Co-Autor Paul Anka („Diana“) auf und schlägt damit eine musikalische Brücke zwischen seinen ersten beiden Alben „Off The Wall“ und „Thriller“. Besonders das Ende des von Streichern und Synthesizern getragenen Refrains wecken Erinnerungen an seine unzähligen Meisterwerke. Für das gelungene Duett mit Justin Timberlake wurde noch ein wenig mehr Funk sowie klammheimlich die berühmte Hookline von Jackos erstem großen Smash-Hit „Don’t Stop ’Til You Get Enough“ hinzugefügt.
Reminiszenzen kommen auch bei „A Place With No Name“ auf, bei dem man sich bei der Entstehung 1998 hinsichtlich der Melodie des Hits „A Horse With No Name“ der Band America bediente. Besonders zu Beginn können Parallelen etwa zu „The Way You Make Me Feel“ ausgemacht werden. „Chicago“ präsentiert sich als einer der wenigen Songs, bei denen der Großmeister nicht am Schreibprozess beteiligt war. Dennoch war er von der aus der Feder von Cory Rooney stammenden Soulballade vom ersten Hören an begeistert und wollte sie ursprünglich auf seinem 2001er Album „Invincible“ veröffentlichen. Die RnB’esken Einflüsse Timbalands mit wummernden Bässen und dominierenden Synths sind nicht zu überhören und katapultieren den verblichenen Megastar musikalisch im Schnellverfahren in die 2010er Jahre.
Eine Zeitreise in die 90er Jahre gönnt man sich mit dem stärksten, tanzbaren Titel „Slave To The Rhythm“, der zeitlich in die Aufnahmen zu Jacksons Megaseller „Dangerous“ fällt, welcher ab 1991 weltweit über 30 Millionen mal über die Ladentheke ging. Im Gegensatz zur Originalversion wurde das Tempo in der Nachbearbeitung noch einmal merklich verschärft, was sich in der Unterstützung durch bombastische Dance- und Drum-Beats äußert. Am gewöhnungsbedürftigsten dürfte der HipHop-Track „Blue Gangsta“ ausfallen, für den King Solomon Logan maßgeblich als Produzent verantwortlich zeichnet. Angelehnt an die Gangster-Thematik aus „Smooth Criminal“, entwickelt der Song sein Potenzial jedoch nicht mithilfe der verwendeten Soundschnipsel, sondern einzig und allein durch Michael Jacksons unverwechselbar kraftvolle Stimmfarbe.
Während die Midtempo-Ballade „Loving You“ durch eine Symbiose aus Piano- und RnB-Klängen ins Auge bzw. Ohr fällt, besticht „Do You Know Where Your Children Are“ vor allem durch seine eindringlichen Lyrics. Musikalisch fällt der groovige Song mit Electro-Elementen in die Zeit zwischen „Bad“ und „Dangerous“ und weist somit Einflüsse beider Alben auf. Der Titeltrack „Xscape“ erinnert an spätere Erfolge wie „Scream“ zusammen mit seiner Schwester Janet Jackson, tatsächlich wurde er jedoch ursprünglich für sein letztes Studioalbum „Invincible“ aufgenommen. Angaben Rodney Jerkins zufolge soll der King of Pop absolut elektrisiert von dem funkigen Song gewesen sein, was sich vor allem im eingängigen Refrain mit seinen charakteristischen Shouts äußert.
Dass „Xscape“ – genau wie alle folgenden posthumen Zusammenstellungen – Kritiker wie Fans spalten wird, kann man sich leicht vorstellen. Die Einen werden sich wenig überraschend gebetsmühlenartig auf Phrasen wie „Leichenfledderei“ und „Geldmacherei“ berufen, die Anderen Loblieder anstimmen und das „Comeback des Jahres“ feiern. Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte: Rein qualitativ überzeugen sowohl die unbearbeiteten „Rohlinge“, die den Charme der Erstaufnahme logischerweise wesentlich intensiver vermitteln, als auch die digital und modern angehauchten Versionen. Die Frage, ob der als Perfektionist durch und durch bekannte Jacko himself die einzelnen Songs – in welcher Form auch immer – abgesegnet hätte, schwingt dabei stets mit; eine letztendlich ziel- und ergebnislose Diskussion darüber zu führen, macht jedoch ebenso wenig Sinn. Des Weiteren sollte der Chronistenpflicht wegen darauf hingewiesen werden, dass sämtliches erwirtschaftetes Einkommen nach seinem Tod in erster Linie seinen Kindern und, wie schon zu Lebzeiten, zu 20 Prozent karitativen Zwecken zugute kommt. Der geneigte Fan und Musikliebhaber dürfte nicht nur deshalb an dem Endprodukt definitiv seine Freude haben.
Xscape
VÖ: 09.05.2014
Epic Records (Sony Music)
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