Thao & The Get Down Stay Down – Temple

Thao & The Get Down Stay Down
(c) Shane McCauley

Nach Jahren des Doppellebens, der übermäßigen Vorsicht und des Versteckens – unter anderem aus Furcht vor Konflikten mit und Entfremdung von ihrer Familie und geliebten Kultur – bekennt sich Thao Nguyen offen zu ihrer Queer Identity. Eine gewisse Nervosität bleibt ihr innewohnend, und doch spürt sie eine neue Freiheit, heiratete ihre Freundin und lebt endlich ihr echtes Leben. Beinahe hätte es keine neue Platte von Thao & The Get Down Stay Down gegeben, schien Genosse Rock nicht ausreichend, das endlich öffentlich gewordene Selbst entsprechend auszudrücken. Erstmals in Eigenregie produziert mit Unterstützung des langjährigen Bandmitglieds Adam Thompson, der auch gleich an der Hälfte des Albums mitschrieb, klingt „Temple“ nun etwas anders, und doch vertraut.

Gewisse Vergleiche mit Poliça bieten sich an, wenn der Titelsong anspringt – unruhig und doch selbstbewusst, von nervöser Energie begleitet. Zwischen den ruhigen, weitestgehend gesprochenen Strophen und dem fordernden Refrain mit vom Arrangement losgelöster Gitarre ergibt sich ein kurzweiliger Spagat, irgendwo zwischen Art-Rock und Alternative. Seltene treibende, zumindest mit Uptempo flirtende Momente bringen frischen Wind. „How Could I“ legt über weite Strecken eine hohe Schlagzahl vor, bleibt aber feinsinnig und feinfühlig. Nguyen schwebt wie ein guter Geist über dem Arrangement, getrieben und doch in sich ruhend.

„Temple“ ist ein Album der Gegensätze geworden, das bleibt an allen Ecken und Enden spürbar. „Pure Cinema“ deutet große Pop-Kunst an, verrennt sich dann samt Gitarre im Nirgendwo und kämpft sich unter großen Anstrengungen frei, nur um einen der eingängigsten Refrains dieses neuen Albums aus dem Ärmel zu schütteln. Der zurückgelehnte, federnde Bounce von „Rational Animal“ wirkt abstrakt und verträumt, dezent verwaschen und auf nicht näher definierten Wolken schwebend. „Phenom“ packt den Bounce aus, bemüht sich um Stimmakrobatik und zeigt Thao & The Get Down Stay Down herrlich experimentell. Der Rausschmeißer „Marrow“ greift diesen Faden auf, nur um einen an frühe MGMT erinnernden Chorus auszupacken.

Verwirrt? Dann ist das Kunststück geglückt. Bei den ersten ein, zwei Durchläufen fällt es nicht unbedingt leicht, dem musikalischen wie lyrischen Stream of Consciousness zu folgen. Thao Nguyens gewonnene Freiheit ist in jedem Moment zu spüren, und so versucht diese nervöse, dennoch über weite Strecken losgelöste Energie neue Wege und Stimmen in dennoch halbwegs vertrauten Gefilden zu finden. „Temple“ ist alles und nichts, könnte Anomalie oder neuer Weg sein. Packend ist dieses etwas andere, dennoch nach wie vor bekannte und wohlige Erlebnis allemal.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 15.05.2020
Erhältlich über: Ribbon Music / Domino Records (GoodToGo)

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