Poliça – When We Stay Alive
Keine zwei Wochen nach dem Release von „Music For The Long Emergency“ hatte Channy Leaneagh selbst mit einem schwerwiegenden Notfall zu kämpfen. Beim Eiskratzen fiel sie vom Dach ihres Hauses, zertrümmerte sich einen Lendenwirbel und zog sich weitere Verletzungen an der Wirbelsäule zu. Ihr Arzt empfohl ihr, die Geschichte der Ereignisse neu zu schreiben, und so richtet sich auf dem mittlerweile vierten Poliça-Albums der Blick erstmals nach innen. „When We Stay Alive“ handelt aber nicht nur vom Unfall, sondern auch von Gesundheit, von Heilung und von der Zurückgewinnung der eigenen Identität.
„When We Stay Alive“ richtet sich an die stete Vorwärtsbewegung des Lebens und die aus dem Innersten bezogene Kraft, auf starke Weise besungen in Tracks wie „Steady“. Leaneagh legt einen Hauch von Soul in ihre Stimme, das Arrangement beginnt mit lässigem Understatement und bewegt sich über weite Strecken in halbwegs balladesken Gefilden. Das reduzierte, elektronische Geblubbere kommt gut und steht im herrlichen Kontrast zum schroffen Opener „Driving“. Beinahe technoide Synthis und drückende Bässe vibrieren durch das zerfahrene Arrangement und suchen, ja, wonach eigentlich?
Was die neue Poliça-Platte so spannend macht, ist ihre Vielschichtigkeit. Klar, das ist mittlerweile nicht neu, wohl aber selten so gut umgesetzt wie hier. Ein „Forget Me Now“ klingt sogar radiotauglich, ruhig und aufbrausend zugleich mit seinem komplexen und doch überaus pointierten Arrangement. „Little Threads“ beschwört hingegen die Magie der Leerräume herauf, bemüht sich um Gemächlichkeit und lässt viel Luft zum Atmen, rund um die schroffen Beats. In „TATA“ wird es wieder eine Spur poppiger, wenngleich ein Hauch von TripHop und sogar Dub durch die Verschachtelung wehen. Schließlich kreuzt das abschließende „Sea Without Blue“ Dream-Pop mit Crystal Castles und wird damit zum nächsten Volltreffer.
Der Blick geht nach innen, die Musik wirkt noch eine Spur vielschichtiger, die ruhigen Momente um einiges intensiver: Channy Leaneagh schreitet erhobenen Hauptes voran und bezieht ungeahnte Kraft aus der Beinahe-Tragödie. Poliça werden zur Bühne für aufwühlende, lebensbejahende Musik, die sich abermals gängiger Kategorisierung entzieht. Schroff und überbordend auf der einen, fragil und emotional aufgeladen auf der anderen Seite – vielleicht noch eine Spur ruhiger, aber selten so intensiv. „When We Stay Alive“ ist kämpferisch und schonungslos ehrlich.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 31.01.2020
Erhältlich über: Memphis Industries (Indigo)
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