Sigur Rós – Odin’s Raven Magic

Sigur Rós
(c) Eva Vermandel

Geduld ist eine Tugend, die Fans von Sigur Rós mittlerweile perfektioniert haben sollten. Tatsächlich hat das immer noch aktuelle Studioalbum „Kveikur“ bereits sieben Jahre auf dem Buckel, seither setzte es ein paar einzelne Songs, Remix-Arbeiten und Klanginstallation sowie das stete Zusammenschrumpfen der Band, begleitet von einigen suboptimalen News. Kurz nach dem Release des neuen Soloalbums von Frontmann Jónsi folgt nun ein etwas anderer Blick in die Vergangenheit: Für „Odin’s Raven Magic“ graben die Isländer ein etwas anderes Live-Erlebnis aus dem Jahr 2002 aus

Von einem klassischen Sigur Rós-Konzert ist hier nicht zu sprechen, denn der Mitschnitt aus der Parise La Grande Halle de la Vilette widmet sich der Vertonung des Heldengedichts „Hrafnagaldur Óðins“ aus der Edda. Ursprünglich für das Reykjavik Arts Festival konzipiert und danach äußerst selten aufgeführt, ist diese Orchesterarbeit mit Chor vor allem das Kind des mittlerweile ausgestiegenen Arrangeurs Kjartan Sveinsson, der amiina-Musikerin Maria Huld Markan Sigfúsdóttir, des Folk-Sängers Steindór Andersen sowie der isländischen Musiklegende Hilmar Örn Hilmarsson, der sich bereits seit jungen Jahren mit diesem Gedicht befasst.

Einzelne, losgelöste Kapitel zu betrachten, macht somit nur bedingt Sinn, denn diese 65 Minuten sind wie aus einem Guss, eine gewaltige Darbietung zwischen Klassik, Folk und, ja, ein wenig Post Rock. Vielleicht verdient „Stendur æva“ besondere Aufmerksamkeit, weil alle Stimmen zusammentreffen und für Gänsehaut sorgen. Andersens Rímur-Choral, Jónsis hohe Stimme und die bewegende Begleitung lassen die Sonne aufgehen, während die Streicher dramatische Momente hervorkehren. Das kantige, beinahe noisige Finale von „Hvert stefnir“ kreiert hingegen Dissonanz, lässt nach gemächlichem Vorgeplänkel bedrohliche Nebelschwaden aufziehen. Wer hingegen nach typischen Sigur Rós-Klängen sucht, wird am ehesten in „Dvergmál“ fündig, dessen hoffnungsvolle, bezaubernde zweite Hälfte den Frühling herbeispielt.

Die Erwartungshaltung will schnell nachjustiert werden: „Odin’s Raven Magic“ ist alles andere als ein typisches Sigur Rós-Album. Und doch lassen sich gelegentlich vertraute Elemente erkennen, ein paar Momente hier und da. Letztlich handelt es sich um ein packendes, orchestrales Kollaborationswerk mit allerlei isländischer Musik-Prominenz, einem starken Orchester und bewegenden Chor, die gemeinsam die eigenwillige wie bewegende Aura der Rabenmagie einfangen – und das nun endlich auf offiziellem Weg für die Ewigkeit festgehalten, ganz ohne furchtbare YouTube-Schnippsel. Bloß ein reguläres Studioalbum der Post-Rock-Veteranen, das wäre vielleicht sogar noch eine Spur schöner.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 04.12.2020
Erhältlich über: Krunk Records (Warner Music)

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