Amythyst Kiah – Wary + Strange

Amythyst Kiah
(c) Sandlin Gaither

Ihr Leben ist ein offenes Buch: Nach einem Grammy-nominierten Album mit der Supergroup Our Native Daughters meldet sich Amythyst Kiah mit einem neuen Solowerk zurück. Und dieses könnte kaum roher ausfallen. Der Selbstmord der Mutter, das Leben mit Trauer, Alkoholprobleme, das Aufwachsen als schwarze LGBTQI+ Frau im Bible Belt und der harte Kampf um Selbstakzeptanz treffen auf einen Sound, der mehr denn je die klassischen Grenzen des Roots-Genres durchbricht. „Wary + Strange“ schlägt ein neues Kapitel für Kiah auf.

„Wild Turkey“ schwingt sich zum emotionalen Höhepunkt auf. Die Abhandlung über den Tod ihrer Mutter ist leise, zögerlich und gewinnt mit jeder Sekunde an Nachdruck. Kiah scheint ihre Stimme finden zu müssen, um über die Geschehnisse schreiben zu können, und löst dies mit Bravour. Davor lauert der ursprünglich mit Our Native Daughters eingespielte Track „Black Myself“, dessen ursprünglich akustisches Konzept unter Strom gestellt wurde. Dicke Vocal-Schichten und packende Gitarren lassen Soul, Rock und mehr miteinander verschmelzen.

Kiahs ruhige, rootslastige Seite führt sie in Country- und Americana-Gefilde, und das ellenlange „Ballad Of Lost“ steht exemplarisch dafür. Klassische Motive und emotional aufwühlende Momente treffen mitten ins Herz. Zur Auflockerung stampft „Fancy Drones (Fracture Me)“ mächtig auf und bringt schweißtreibenden Blues aufs Parkett. Die schiere Wucht des gemächlichen Stompers, begleitet von der schneidenen Gitarre, klingt wie langsamer abgespielte Black Keys und entsprechend voluminös. Das düstere „Opaque“ baut darauf auf und legt noch mehr Seele offen. In Verbindung mit brennenden Saiten ergibt sich pure Magie.

Man hört förmlich, wie Amythyst Kiah im Laufe dieser Platte zu sich selbst findet, ins Reine kommt und frisches Selbstbewusstsein tankt. Das zeigt sich natürlich auch auf musikalischer Ebene, denn die deutlich höheren Soul- und RnB-Anteile, gepaart mit verschwitztem Blues und ominöser Intensität, lodern gar hell. „Wary + Strange“ ist zudem die Platte einer Künstlerin, die besser denn je ihre eigene Stimme mit wertvoller Selbstverständlichkeit einsetzt und sich Gehör verschafft. Ob mit Our Native Daughters oder solo, Amythyst Kiah ist auf dem Sprung in neue, verdiente Sphären.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 18.06.2021
Erhältlich über: Rounder Records / Concord Records (Universal Music)

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