Circa Survive – Two Dreams
Schluss, aus, vorbei? Die Zukunft von Circa Survive ist ungewiss. Am 19. Oktober gab die Band eine Pause auf unbestimmte Zeit bekannt, widmet sich nun neuen Herausforderungen. Zuvor werden jedoch noch zwei besondere Releases zusammengefasst: Die beiden zunächst rein digital erschienenen Lockdown-EPs „A Dream About Love“ und „A Dream About Love“ zeigten einen großen musikalischen Shift. Von Post-Hardcore und Alternative Rock ist nur mehr wenig zu hören, stattdessen macht sich mehr Elektronik breit. „Two Dreams“ vereint diese (Abschieds-)Releases nun erstmals auf einer physischen Ausgabe.
Die zwölf Songs zeigen nicht nur eine Band im Wandel, sondern zudem einen Frontmann, der plötzlich vor neuen Tatsachen stand. Während seines Entzugs wurde bei Anthony Green eine bipolare Störung diagnostiziert, die Lockdowns brachten sein Innenleben abermals aus den Fugen. Zudem realisierte der Mann mit der charakteristischen hohen Stimme, dass sein Songwriting-Ansatz bislang alles andere als therapeutisch gewesen war. Es brauchte einen Paradigmenwechsel, der sich nicht nur durch die Lyrics zieht, sondern auch die Musik hörbar beeinflusste.
Geht man unvorbereitet an diese Platte heran, so überrascht das eröffnende „Imposter Syndrome“ gewaltig. Ruhige Töne, elektronischer Unterbau und gemächliches Aufbäumen deuten vertraute Muster um, wagen eine umfassende Neuinterpretation und marschieren eisern auf eine Art Höhepunkt zu, der ausbleibt. Zuvor, wenn die Spannung den Siedepunkt erreicht, folgt der große Abbruch. Tatsächlich begeistern gerade die ruhigen, fragilen Momente, wie das emotionale „Gone For Good“ oder das epische, elegische „Our Last Shot“, das nahezu proggige Züge annimmt. Green versucht aus dem Soundgewand auszubrechen, letzte Alternative-Rock-Reste schwingen mit – fast wie ein Schwanengesang mit Aufbruchstimmung.
Doch auch der zweite Teil hat seine großartigen Momente. So zeigt „Discount On Psychic Readings“ erneut eine Band am Scheideweg. Man möchte immer wieder zu den Gitarren greifen und in die Saiten hauen, nimmt sich am Höhepunkt jedoch zurück. Der Track darf an Intensität gewinnen, nähert sich der Unerträglichkeit an, und hinterlässt doch mit mehr Fragen als Antworten. Hingegen geht „Electric Moose“ recht offensiv mit seiner Elektronik um. Beeps, Bleeps und Loops schwingen mit, gewisse Parallelen zu Radiohead kommen nicht von ungefähr. Entsprechend lässt sich der Track treiben, wobei der warme Basslauf und Greens leidenschaftliche Performance das Ding gekonnt zusammenhalten.
Eigentlich ist es doppelt und dreifach schade, dass sich Circa Survive gerade jetzt verabschieden. Ja, diese zwölf Tracks dürften vor den Kopf stoßen, doch birgt gerade das großen Reiz. „Two Dreams“, die Zusammenstellung zweier EPs, geht mutig neue Wege und braucht erst einmal Zeit, Geduld, weit offene Ohren. Ein Anthony Green auf der Suche nach einer neuen Perspektive und eine Band, die überaus leger mit dem eigenen musikalischen Erbe umgeht, sorgen jedoch für manch ein Highlight. Wenn das tatsächlich ein Abschied sein sollte – es war sehr schön, gerade nach dieser unerwarteten wie mutigen Platte.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 16.12.2022
Erhältlich über: Rise Records / BMG Rights Management (Warner Music)
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