Hey Colossus – In Blood
In einer Zeit der Unsicherheit, als die so wichtigen Konzertmöglichkeiten wegfielen, nahmen sich Hey Colossus alle Freiheiten für ihr bereits 14. Studioalbum, noch dazu zum 20. Geburtstag. Die Pause zwischen zwei Platten war bei den Noise-Veteranen noch nie so lang, zudem öffnete man – an die Desert Sessions angelehnt – alten und neuen Wegbegleitern Tür und Tor, um sich musikalisch einzubringen. Daraus entstand ein neues Line-up sowie massig Musik. Ursprünglich als zweites Doppelalbum in Folge angedacht, komprimierten die Briten „In Blood“ letztlich doch auf 40 kompakte Minuten, die zugleich so eingängig wie lange nicht rüberkommen.
Radiofreundliche Mucke braucht man sich jedoch nicht erwarten, das verrät der Opener „My Name In Blood“ bereits im Titel. Jedoch rückt lärmendes Störfeuer in den Hintergrund, während sich ominöse Stimmung im brütenden Midtempo-Bereich ausbreitet. Alternative und Psychedelic rittern mit, von einer gewissen Düsternis begleitet. Der Untergang ist nah und kommt in „Perle“ richtig schön durch. Hier darf das Gaspedal gerne mal kräftig durchgetreten werden, um dem unbequemen Track ein paar herrlich hässliche Akzente zu verleihen. Unerwartete Americana-Vibes zerlegen das Geschehen hingegen gekonnt.
Im epischen Rausschmeißer „Over Cedar Limb“ lassen Hey Colossus ihr verstärktes Faible für psychedelische Klänge durchschimmern. Das schwerfällige Langformat arbeitet in bester Post-Rock-Manier auf ein gigantisches Finale zu, das sich – scharfkantig und doch bestimmt – vom weiteren Geschehen abhebt und beherzt zulangt. In „Curved In The Air“ überrascht der finstere, zugleich eingängige Bounce. Ist das schon Post Punk? Nicht zum letzten Mal überschreiten Hey Colossus diese imaginäre Grenze des Wahnsinns und kleiden Widerborstigkeit in warmherzige, zugleich unterkühlte Texturen.
Dieser Widerspruch geht auf, und wie: Dem Papier nach sollte der eigenwillige Ansatz von „In Blood“ eigentlich nicht funktionieren, geht jedoch mit Anlauf unter die Haut und mitten ins Herz. Von Noise-Ideen distanziert sich das umgekrempelte Line-up natürlich nicht, doch werden diese nun etwas anders in den noch vielfältigeren, abwechslungsreicheren Sound eingebettet. Hey Colossus machen keinesfalls plötzlich Pop und zielen nicht auf eingängige Absolution ab, gehen dafür geschickter denn je mit Stimmungen und Texturen um, mit psychedelischer Sinnsuche, Post-Hibbeligkeit und Alternative-Weisheiten. Selten fiel der ‚Einstieg‘ in eine Platte der Veteranen so leicht.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 01.09.2023
Erhältlich über: Wrong Speed Records (Cargo Records)
Bandcamp: heycolossus.bandcamp.com
Facebook: www.facebook.com/heycolossus