URGE – Noiseversity
Anfang der 90er Jahre schien Hannover die alternative Musikwelt zu gehören. Gleich mehrere Bands im härteren Umfeld gründeten sich, der Begriff ‚Hardcorehausen‘ war geboren. Auch URGE entstiegen dieser Bewegung, veröffentlichten 1990 eine erste EP, legten im Folgejahr ein Album nach und begleiteten die legendären Fugazi auf Europa-Tournee, nur um kurz danach von der Bildfläche zu verschwinden. 30 Jahre später entflammte der Bock auf die Musik neu, nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Studio. „Noiseversity“ nimmt den Sound und den Elan dieser vermeintlich längst vergangenen Epoche mit und mischt aktuelle gesellschaftliche sowie politische Themen hinzu.
Die sechs neuen, bevorzugt überlangen Tracks bewegen sich unter anderem im Geiste von Helmet und eben jenen Fugazi – als wäre die Zeit stehen geblieben, dennoch herrlich frisch. „Hellnoise“ eröffnet den wilden Reigen mit ordentlich Zunder. Alternative-Sound mit metallischer Schlagseite, Post-Hardcore-Wucht und, nun ja, etwas Noise stattet diesen Dampfhammer aus. Wie sich bleierne Schwere mit verhaltenen Melodie-Ansätzen abwechselt, macht ordentlich Laune. Die kehligen Vocals sorgen für das gewisse Etwas, eine leicht schräge und zugleich unheimlich eindringliche Note, die auf wundervolle Weise zu zermürben weiß.
Für die feine Klinge bleibt herzlich wenig Zeit, doch möchte man das von URGE eigentlich auch nicht. Die kompromisslose, erdrückende Präsentation macht sie erst so richtig stark, siehe und höre die stete, ominöse Düsternis von „Interfere The Game“. Die Auseinandersetzung mit Fake News, musikalisch zwischen Reduktion und ruppigen Breitseiten pendelnd, geht ebenso unter die Haut wie das forsche, zugleich bockige „What If War“. Hier geht es um Entscheidungen, wenn ein Krieg im eigenen Land bevorsteht – leider ein immer aktueller werdendes Thema, das hier in endlosen, sich immer weiter intensivierenden Schleifen gekonnt durchgekaut wird.
Wie aus der Zeit gefallen und doch aktueller als geadacht, so zeigt sich dieses unverhoffte wie grandiose Comeback auf Albumlänge. URGE wenden sich gar beherzt ihren musikalischen Wurzeln zu, üben dabei ordentlich Druck aus und schreiben obendrein richtig gute Songs. Man hört das Handwerk einer Band, die damals im wahrsten Sinne des Wortes ‚dabei gewesen‘ ist, die den Esprit der Früh-90er-Alternative-Szene atmet, die sich allerdings keinesfalls mit reiner Aufarbeitung der eigenen musikalischen Geschichte begnügt. „Noiseversity“ widmet sich einer alten Schule, die heute angesagter denn je scheint, und geht nicht mehr aus dem Kopf. Willkommen zurück.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 01.12.2023
Erhältlich über: Urgestein Records / Rookie Records (Indigo)
Website: urge-band.com
Facebook: www.facebook.com/hardcorehausen