Albertine Sarges – Girl Missing

Bereits mit ihrem ersten Album gelang der in Berlin geborenen Albertine Sarges das Kunststück, Fans, Radiostationen und Feuilleton zu vereinen. Dabei gab sich „The Sticky Fingers“ 2021 bei allem Selbstbewusstsein herrlich zurückgelehnt und unaufdringlich, ließ den verdienten Erfolg einfach kommen. Eine EP später ist Sarges nun beim schweren zweiten Album angekommen, geschrieben und aufgenommen zwischen den Betongiganten Berlin-Marzahns und dem Küstenstädtchen Margate in England. Diese belastende Leichtigkeit trifft auch auf den Sound sowie die Thematik von „Girl Missing“ zu.
Zu Beginn der Aufnahmesessions brach eine enge Freundin Sarges‘ kommentarlos den Kontakt ab. Unzählige Fragen und Erinnerungen blieben zurück – eine Sehnsucht, die letztlich den Grundstein für diese neue Platte legt. Und die könnte kaum vielfältiger ausfallen – siehe und höre „Friendship“, ohne Frage einer der intimsten neuen Songs. Wiederholte Fragen, RnB-Einflüsse, vertrackter Art-Pop und geschickt eingebaute Sollbruchstellen lassen Antworten vermissen. Die gibt es auch im Titelsong „Girl Missing“ nicht, wenngleich die deutlich direktere Präsentation nebst frühlingshaften Klängen aus dem verzweifelten Tiefschlaf erwacht. Die Frage, wo und wie die ganze Liebe nun investiert werden soll, schmerzt dennoch.
Im „Cocoon“ wird es ätherisch und stilvoll, voller widersprüchlicher, verklärter und doch so deutlicher Melodie- und Handlungsstränge, die einen Kokon zwirbeln und letztlich doch um das Vorankommen kämpfen. Ist es dort wirklich so angenehm? Freilich, ein gewisses Augenzwinkern ist bei Albertine Sarges immer dabei. Die letzte Zeile des letzten Songs „Diving“ ist ein sympathisches Dad-Joke-Wortspiel, die erst avantgardistische, dann bluesige angehauchte Präsentation fährt durch Mark und Bein. Ganz nebenbei werden abermals allerlei popkulturelle Bänder geknüpfte, siehe und höre das angenehm laute, drückende „Stand Near Your Fire“, das auf Anthony Bourdain verweist, oder das mit ihrem Lieblingsalbum von Neil Young anbandelnde „Blue Lagoon“.
Ein betont engmaschig verwobenes Netzwerk an Zitaten, Assoziationen, losen Handlungssträngen und zugleich konkreten, (ein-)dringlichen Fragen stattet das starke zweite Album aus. Vom plötzlichen Verschwinden hörbar gezeichnet, arbeitet Albertine Sarges die Vergangenheit auf, versucht die neue Gegenwart zu meistern und sucht nach Erkenntnissen für die Zukunft. All das wird letztlich betont sauber und doch lose verpackt, um dem existenziellen Sein und Schein gebührenden Ausdruck zu verleihen. In anderen Worten: „Girl Missing“ schafft es, persönlich und universell zu sein, findet neue Ufer, reibt sich am Früher auf und wählt die richtige Mitte. Packende musikalische Untermalung, so vielschichtig wie bereichernd, rundet eine mächtige Platte ab, die noch lange nachhallen wird.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 21.02.2025
Erhältlich über: Moshi Moshi Records (Cargo Records)
Website: www.albertinesarges.com
Facebook: www.facebook.com/AlbertineSarges