Hysterese – Hysterese

Hysterese
(c) Florian Kehbel

Hysterese verschwenden keinerlei Energie, um ihren Alben Namen zu verpassen. Stattdessen stecken sie jegliche Kreativität ins Songwriting, und das macht sich bezahlt. Im Vergleich zum letzten Werk aus dem Jahr 2018 hat sich jedoch einiges getan. Neben einer neuen Bassistin gibt es statt einer Doppel-Lead nun nur noch eine wirkliche Hauptsängerin. Zudem verschwindet die alte Kopf-durch-die-Wand-Taktik zugunsten mehr Düsternis und Eingängigkeit. Ja, auch diese Platte heißt „Hysterese“, bewegt sich allerdings in ganz anderen Sphären.

Einer der besten neuen Tracks lauert kurz vor Schluss. „Sumer“ – nein, kein fehlerhafte Sommer – schwingt sich erhobenen Hauptes durch bedeutungsschwangere Finsternis. Helens Gesang bringt eine gewisse Prise Drama und Druck mit, erinnert ein wenig an die großen New-Wave-Bands und entschlackt etwaige Punk-Bemühungen bis hin zum Post-Präfix. Wenn der Track nach zwei Minuten schließlich durch die Decke geht und Pop-Konzepte mit Dreck beschmiert, geht das Herz auf. Das kurze, knappe „Heartbeat“ beschwört hingegen die punkigen Wurzeln und wirft aus dem Nirgendwo einen knackigen, eingängigen Refrain ab, der in seiner Kompaktheit begeistert.

Genau das macht den neuesten Hysterese-Nachschlag so toll: Hinter jedem Song steckt mehr, als man zunächst glaubt. Das eröffnende „Burning“ scheint in beiläufiger Düsternis zu zerfließen, zieht schließlich dicke, instrumentale Mauern auf und lässt die kraftvolle Stimme auf diesen thronen. Kleine Brüche in höhere Register, dieses plötzliche Umschlagen bereichert Helens Darbietung so richtig. In „Meltdown“ kommt schließlich alles zusammen: mehr Punk, mehr Rock, ein paar derbe Hooks und die prominente Rückkehr der zweiten Stimme als Sahnehäubchen. Hier findet sich der neue Sound, zudem erinnert die Band stellenweise an die apokalyptische Trilogie von Turbonegro. Und das ist nie verkehrt.

Operation gelungen, Patient lebendiger denn je. Hysterese lenken die Wucht ihres Vorgängers in relativ geregelte Bahnen, ohne dabei auch nur ein Quäntchen Durchschlagskraft einzubüßen. Durch die Bank stimmige Entwicklungen – neue Abgründigkeit, beißende Hooks, gesanglicher Fokus und frischer Drive am Tieftöner – bekommen der aktuellen eponymen Platte richtig gut. Mehr noch, die Tübinger schreiben zudem ein paar kleinere Hits, die sich sofort festbeißen. Hysterese sind weiterhin Punk, bloß mit komplett anderem Grundgerüst. Und das reißt im besten Sinne von den Sitzen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 25.06.2021
Erhältlich über: This Charming Man Records (Cargo Records)

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