Nichtseattle – Kommunistenlibido

Nichtseattle
(c) Noel Richter

Eine energisch angeschlagene Gitarre, eindringlicher Gesang, gelegentlich etwas Flügelhorn und/oder Schlagzeug – mehr braucht es nicht zum großen Glück, das Katharina Kollmann als Nichtseattle vorlebt. Hier bemüht die ansonsten als Lake Felix tätige Musikerin deutschsprachige Texte, so pointiert wie mitreißend und vornehmlich im XXL-Format vorgetragen. „Kommunistenlibido“, so der fantastische Titel ihres zweiten Albums, landet bei Staatsakt und wird in der ohnehin bereits opulenten Doppel-Vinyl-Ausgabe von einem Songbook mit Illustrationen von Fania Jacob begleitet.

Die Musik, so die gute Nachricht vorneweg, kann mit der höchst attraktiven Gestaltung der Platte locker mithalten. „Hochhauslied“, dieses knapp achtminütige Wunderwerk, sucht nach Worten in der verblassenden Philosophie, gelegentlich mit der eigenen Zweitstimme im Duett. Was Nichtseattle so packend macht, ist der Fokus auf die Stimme, die Lyrics. Rundherum passiert wenig, oft schwingt nur die Bariton-Gitarre mit. In diesem konkreten Fall kommt zumindest gelegentlich etwas Rhythmus hinzu, sorgen kurze Phasen des Innehaltens zwischen Harmonie, Sturm und Drang für knappe Möglichkeiten, die inhaltliche Heavyness zu verarbeiten.

Floskeln braucht Nichtseattle nicht, die recht nackte Arrangierung bietet weder Netz noch doppelten Boden. Das bekommt den Songs allerdings gut, siehe und höre „Kein Holz“. Behutsame Self-Chöre und faux-dilettantisches Anti-Riffing basteln mehr als unorthodoxe Untermalung, die scharfkantige Eindringlichkeit mit zarter Flügelhorn-Unterstützung befasst sich mit Suche, mit Schein und Sein. In „Lady Grau“ tauchen unerwartet sogar ein paar englische Zeilen auf, als eine Art Fast-Refrain, Leitmotiv der verständnisvollen Beschissenheit der Tagesform eingesetzt. Und das ist ebenfalls auf gewisse Weise charmant.

Der Fokus legt stets auf dem Wesentlichen, und das macht „Kommunistenlibido“ so spannend. Natürlich gibt es gewisse Einstiegshürden, sei es die spärliche Instrumentierung oder die bewusst eingesetzte Überlänge, um das Storytelling entsprechend zu verdichten. Letztlich ist es genau das, was die zweite Nichtseattle-Platte so stark macht, begleitet von Kollmanns faszinierender Stimme, die es auf begeisternde Weise schafft, Stimmungen und Emotionen zu transportieren, ohne auch nur im Geringsten aufgesetzt zu klingen. Weder Dirk noch Katharina mögen in Seattle sein, doch die Musik überdauert alle temporalen und geographischen Grenzen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 29.04.2022
Erhältlich über: Staatsakt (Bertus)

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