Nichtseattle – Haus
Was schlummert eigentlich hinter Wohnungstüren und Häuserwänden? Haus und Zuhause, das sind seit jeher zentrale Themen nahezu sämtlicher Musikgattungen. Auch Katharina Kollmann aka Lake Felix greift diese für das mittlerweile dritte Album als Nichtseattle auf. „Haus“ beleuchtet nicht nur die unterschiedlichen Häuser und Zimmer, sondern auch ihre Bewohner*innen, ihre Gefühlswelten, ihre Leben und Lebensziele. Und das – natürlich – in gewohnter Reduktion, die mit Singer/Songwriter-Mustern abermals komplett bricht und die Magie des Storytellings einmal mehr höchst gekonnt auf das Langformat ausbreitet.
Eine der schönsten, intensivsten Nummern wartet ausgerechnet zum Schluss: „Fleißig (Schloss)“ reduziert die Instrumentierung auf das Wesentlichste und gibt sich dafür textlich so eindringlich wie menschenmöglich. Wütende Resignation kollidiert mit Entwürfen über Rückschläge und gelebte bis verlebte Leben. Hingegen wirkt „Beluga (Eigentumswohnung)“, der Opener, in seiner Anmut lebhaft, magisch, voller kleiner Harmonien. Dass sich dahinter eine Auseinandersetzung mit den Irrungen der Liebe und den Problemen, dieser nach Jahren und Jahrzehnten auch nur annähernd angemessenen Ausdruck zu verleihen, verbirgt, wird erst mit dem zweiten oder dritten Durchlauf klar. Und dann zerspringt bereits das Herz.
Das Sportbeutelkind hopst durch die „Treskowallee (Zelt)“ und erliegt beinahe seinen Tagträumen, so verwaschen wie klar umrissen, während die Gitarre immer wieder nach vorne drängt und die gedankenverlorene Melodie mit Nachdruck betont, verstärkt. „Frau sein (Werkstatt)“ verlagert den Blick auf das Alter, ist alleine und will das vielleicht auch sein – oder doch nicht? Diese kleinen Leerstellen bleiben ganz bewusst, wie auch in der Erinnerung an den Mann mit Bart, der in „Krümel noch da (Tagescafé)“ vorstellig wird und mit hingeklatscht erscheinenden Vocals (die natürlich alles andere als das sind) als Ausgangspunkt für weitere Figuren und Parallelen dient, bevor letztlich nur eine Form der Sprachlosigkeit bleibt.
Dass es trotz überaus stattlicher Spielzeit von 65 Minuten nicht den Hauch einer Länge gibt, spricht definitiv für Nichtseattle. Nicht nur das, bei aller XXL-Präsentation und ausladenden Songstrukturen ist dies zugleich das dichteste Album Kollmanns, die ihren spannenden Erzählstil endgültig perfektioniert und noch dazu musikalisch entsprechend untermalt – fast schon beiläufig und lakonisch, doch immer auf den Punkt und auf gewisse Weise unheimlich spielsicher, verdammt passend. Der Blick in die Zimmer und Köpfe macht „Haus“ zu einem echten Meisterwerk, realisiert die auf den Vorgängern angedeutete Klasse vollends und stellt Herz sowie Mördergrube auf eine gemeinsame Ebene. Was für eine Meisterleistung.
Wertung: 4,5/5
Erhältlich ab: 12.04.2024
Erhältlich über: Staatsakt (Bertus)
Facebook: www.facebook.com/Nichtseattle