High Vis – Blending

High Vis
(c) Simon Wellington

Auch heute, sechs Jahre nach Gründung, sind die Hardcore-Wurzeln von High Vis weiterhin greifbar. Musikalisch bewegt man sich mittlerweile zwar in kunstvollem Punk, der zwischen Rock und Post pendelt, der krachende Elan und das drückende soziale Bewusstsein bleiben jedoch omnipräsent. Was auf dem Debüt „No Sense No Feeling“ bereits hervorragend klappte, wird nun weiterentwickelt.  Graham Sayle verleiht den universellen Texten über Klassenkampf, Armut und Herausforderungen des Alltags nunmehr eine deutlich persönlichere Note und reicht die Hand. Sein Credo auf „Blending“: Du bist nicht, wer du zu glauben scheinst, du bist mehr als dein Klassenhintergrund.

Dieses Mantra kommt beispielsweise im abschließenden „Shame“ durch, dessen motivierendes Finale tatsächlich Rückenwind verleiht, begleitet von 80s-lastigem Post Punk, New Wave und sogar etwas Shoegaze – insgesamt eine der ruhigeren Episoden dieser Platte, sehr feinfühlig und bewegend arrangiert. Davon kann in „Trauma Bonds“ keine Rede sein. Klar, auch hier setzen sich diese leicht ruhigeren Töne zunächst fort, werden von Sayles druckvollen Vocals jedoch schnell umgedeutet. Hier geht es deutlich nach vorne, es braucht drastische Energie und etwas Dreck im Refrain. Punk und Rock drängen sich auf, ohne über die Stränge zu schlagen.

Natürlich gibt es auch die etwas wilderen Husarenritte nach wie vor. In „0151“ mischen sich Rotz und Schmutz unter verwaschene Britpop-Referenzen und einen Hauch von Hardcore. Es klingt nach Straße und nach Mut zum Aufstehen, aber auch nach ein wenig Harmonie. Die entschlackte Version hiervon nennt sich „Morality Test“, kommt etwas gemächlicher in die Gänge und bohrt sich mit seinen ehrlichen Lyrics sowie den donnernden Drums dennoch sofort in die Seele. „Talk For Hours“, meint der Opener, und trägt tatsächlich Stream of Consciousness-Qualitäten in sich. In aller Gemächlichkeit entfaltet sich der Song, dennoch druckvoll und zerstörerisch ehrlich.

Tatsächlich gehört das Storytelling zu den größten, freilich aber nicht einzigen Qualitäten von High Vis. Ja, die narrative Präsentation und die Togetherness erinnert im besten Sinne an Idles, doch musikalisch macht das Quintett ebenfalls höchst positiv von sich reden. Kräftige Hymnen, sperrige Wutproben, tiefe Entspannung und verwaschene Zeitreisen geben sich die Klinke in die Hand und erzeugen eine wunderbar vielschichtige Platte, die mit jedem Durchlauf neue kleine Details freilegt. Das zweite Album, eine vermeintliche Hürde, wurde mit Bravour genommen, und so dürfte wohl feststehen: High Vis haben das Zeug zum großen Wurf. Und der dürfte in dieser Form kaum auf sich warten lassen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 30.09.2022
Erhältlich über: Dais Records (Cargo Records)

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