Underworld – Strawberry Hotel

Bitte nicht shuffeln: Diese einfache und letztlich doch einzige Anweisung begleitet den neuesten Streich von Underworld. Fünf Jahre nach ihrem „Drift“-Projekt, das (bislang) leider keine Fortsetzung erhalten hat, widmen sich die britischen Techno-Urväter einmal mehr kreativen Untiefen und basteln eine Konzeptplatte, die trotz opulenter Spielzeit von gut 68 Minuten von vorne bis hinten, in einem Aufwasch durchgehört werden soll. „Strawberry Hotel“ betritt verschiedene Zimmer, trifft auf manch eine Überraschung, viel Altbekanntes und die nunmehr obligatorischen Experimente, die für Karl Hyde und Rick Smith Pflichtprogramm geworden sind.
Über die zarten Wellen von „Black Poppies“, ein reduzierter Romantiker mit ordentlich Effekten auf den Vocals, geht es mitten in das vorab veröffentliche „Denver Luna“ (im letzten Album-Drittel als Acappella-Version erneut aufgegriffen), das mit wuchtigen Beats und sperrigem Flair durchaus an die Glanzzeiten der 90er, erinnert, sich mit feiner Melodik aber schnell öffnet – siehe und höre das kurze, effektive „Techno Shinkansen“, das wie eine minimalistische „Born Slippy“-Fortsetzung rüberkommt. Den fantastischen Anfangspart beschließt „And The Colour Red“, ein weiterer wüster Stomper mit beißendem Beat und erstaunlich unterkühlter Stimmung, die bei Underworld inzwischen eine Seltenheit geworden ist.
Je länger diese Platte dauert, desto überraschender gestaltet sie sich. Wie im voluminösen, energischen „Lewis In Pomona“ und dem schneidenden „Hilo Sky“, ein infernales Duo, das sich purer Freiheit widmet und sich komplett in der Musik verliert. Das versucht „King Of Harlem“ auf ganz andere Weise. Ein klassischer Underworld’scher Wortschwall ergießt sich, das Geschehen verliert sich in „Ottavia“ ein wenig. Bizarre Spoken-Word-Einflüsse leiten den komplizierten Abschluss an, der sich viel traut, dabei aber ab und an den Faden verliert – wie im schillernden „Gene Pool“, das sicherlich keine neun Minuten gebraucht hätte, oder der Deepness von „Iron Bones“, auf die mit „Sick Man Test“ nur ein Akustik-Abschluss folgen konnte.
Selbst für Underworld-Verhältnisse ist „Strawberry Hotel“ eine schräge Platte geworden, doch ist das auch irgendwie in Ordnung. An den kreativen Wahnwitz von „Drift“ reicht dieser Longplayer nicht so ganz heran, doch passt das schon. Im Schlussakt verliert sich das Duo ein wenig, platziert den Großteil der Banger anfangs und lässt somit narratives Hinterfragen zu. Wäre mehr Dynamik, mehr Abwechslung vielleicht doch besser gewesen? Oder etwas weniger Musik? Klartext ist, dass man sich hier immer noch auf hohem Niveau beschwert, denn zumindest zwei Drittel dieses Album sind verdammt gut. So roh und technoid waren Underworld schon lange nicht mehr, während sie in den richtigen Momenten über den Dingen stehen und schweben. Bei allen kleineren Abstrichen ist das hier immer noch unheimlich großes Kino.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 25.10.2024
Erhältlich über: Virgin Music / PIAS (Rough Trade)
Website: www.underworldlive.com
Facebook: www.facebook.com/Underworld