MIA. – Tacheles

MIA.

Was 1997 in Berlin als Schülerband begann, ist mittlerweile zu einer Institution der deutschen Pop/Rock-Landschaft gereift: MIA. haben sich im Lauf ihrer Karriere von den verschiedensten Seiten gezeigt, waren Electropunker, spielten „Stille Post“, tingelten zwischen Zirkus und Club hin und her. Dreieinhalb Jahre nach ihrem bis dato letzten Studioalbum „Willkommen im Club“ erscheint nun mit „Tacheles“ die fünfte Platte der mittlerweile zu einem Quartett geschrumpften Berliner, die sich 2012 durch 80er-Dissen, britische Elektronik und eine feine Prise NDW beißen.

Die in der Vorabsingle „Fallschirm“ relativ prominent eingesetzten Gitarren halten sich auf Albumlänge eher zurück. Immerhin machen sie sich im sexualisierten Wave-Pop/Rocker – der Bonus-Track „Die Frau“ ist so etwas wie die gleichgeschlechtliche Fortsetzung der hier angedeuteten Thematik – sehr schmuck, auch wenn es auf „Tacheles“ deutlich packendere Single-Kandidaten gäbe. So entpuppt sich beispielsweise „Das Haus“ als witziger Electro-Pop-Stomper mit dezenter Hot Chip-Schlagseite, während Mieze Katz in der Wort-orientierten Betonung der Strophen sogar eine Prise Punk einfließen lässt. Überhaupt scheinen die Briten so etwas wie die Brüder im Geiste zu sein, was diese Platte betrifft; man höre das verspielte „Aufruhr“ mit Steel Drums-ähnlichen Klängen, einem Hauch von Post-Rave und bissigen, stark verzerrten Gitarren im Mittelteil, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn man sich aus dem elektronischen Klangkosmos zu befreien versucht.

Gerade die erste Hälfte des fünften MIA.-Studioalbums macht Laune und überzeugt mit seiner Hitdichte. Der Opener „Sturm“ suggeriert Aufbruchsstimmung mit einem melodischen Unterbau, der sympathisch an „Time To Pretend“ von MGMT erinnert. Vor allem aber punkten die Berliner mit rohen, rockigen Untertönen und einer stets präsenten Spannung, die den großen Ausbruch suggeriert – ein Powerhouse par excellance. Auch „Aufruhr“, der Rocker dieser Platte, macht sich sehr sympathisch und erinnert in seinem Auftreten an einen Hybrid aus „Major Tom“ (gerade was die Gesangsmelodie in der ersten Strophenhälfte betrifft) und der MIA.-Frühphase. Der dichte, dezent an Polarkreis 18 erinnernde Refrain prägt sich blitzschnell ein. Würde der Song nicht so abrupt abbrechen, man hätte wohl einen potentiellen zweiten Singlehit am Start.

Schade ist hingegen, dass MIA. die Qualität der ersten Hälfte nicht durchgehend halten können. „Brüchiges Eis“, das in etwa so klingt, als würde ein drei Mal so schnell abgespieltes „Limit To Your Love“ auf eine 80s-Power-Rock-Ballade treffen, bildet die noble Ausnahme, aber gerade „Musik“ und „La Boom“ wirken eine Spur zu repetitiv und egal. Damit tut sich das Quartett freilich keinen Gefallen, denn die feinsinnige Mischung aus Hot Chip-Elektronik, einer Prise Punk und 80s-Revival steht ihnen gut. Sieben von elf Songs auf „Tacheles“ machen jedoch Laune, mit „Sturm“ und „Das Haus“ (sowie dem leider zu kurzen „Aufruhr“) hat man echte Hits im Gepäck. Perfekt ist das Full-Length-Lebenszeichen nach der kleinen Pause zwar nicht, wohl aber sympathisch und beweist einmal mehr, dass MIA. wissen, wie man sich neu erfindet, ohne auf der einen Seite die Band-Trademarks zu verwässern und auf der anderen zu sehr auf der Stelle zu treten.

VÖ: 09.03.2012
Island Records (Universal Music)

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