Within Temptation – Hydra
Über 18 Jahre beständig abzuliefern und dabei musikalische Langeweile zu vermeiden, stellt für die meisten Künstler und Bands eine schier unlösbare Aufgabe dar. Die sympathischen Symphonic-Metaller von Within Temptation gehören diesbezüglich zu den wenigen einzigartigen Ausnahmen. Nach ihrem orchestralen und weltweit erfolgreichen Album „The Unforgiving“ aus dem Jahr 2011 kehren die sieben Niederländer mit dem Nachfolger nun wieder zu ihren Wurzeln zurück: „Hydra“ heißt nicht nur das neue Werk, sondern auch ein vielköpfiges, schlangenähnliches Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. Schlägt man ihm einen Kopf ab, wachsen an dessen Stelle zwei neue. Für Gitarrist und Songwriter Robert Westerholt ist dies der perfekte Titel für den Longplayer.
Ein klarer Verweis auf die Vielschichtigkeit und die unterschiedlichen Einflüsse, die den Sound von Within Temptation so unverwechselbar machen. Gleich der erste Song „Let Us Burn“ gibt die härtere Marschrichtung vor, spart jedoch nicht an Emotionen und mitreißendem Hymnenfaktor. Mit fünfeinhalb Minuten bekommt man hier bereits einen roten Faden geliefert, den man auch bei den weiteren neun Tracks kaum mehr verlieren wird. Erst recht nicht beim Monster-Duett „Paradise (What About Us?)“, für das die Band Ex-Nightwish-Sängerin Tarja Turunen gewinnen konnte. Ihre und Sharon den Adels Stimmfarbe harmonieren derart perfekt miteinander, dass man sich fast schon fragen muss, weshalb eine Zusammenarbeit der beiden Chanteusen erst jetzt zustande gekommen ist. Während sich Tarjas Opern-Röhre und Sharons Power-Organ besonders im Chorus ein episches Battle liefern, brennen Westerholt und seine Kollegen im Mittelteil ein Rockfeuerwerk par excellence ab und sorgen somit für das erste denkwürdige Highlight des Albums.
Zeit zum Durchschnaufen wird nur kurz gewährt: Die Midtempo-Ballade „Edge Of The World“ beginnt verträumt und vermittelt Aufbruchstimmung, die spätestens mit dem einsetzenden Solo aus Schlagzeug, Gitarre und Streichern einer treibenden, brachialen Atmosphäre weicht. Diese findet sich auch beim energetischen Titel „Dangerous“ wieder, für den sich Within Temptation Ex-Killswitch Engage-Sänger Howard Jones ins Boot geholt haben. Besonders mit seinen Vocals und der kraftvollen Soundstruktur wird ein gar mörderisches Tempo vorgelegt, das zur Thematik des Songs wie die Faust aufs Auge passt. Allein bei der Vorstellung einer Live-Performance dieses Dampfhammers wird die Endorphin-Ausschüttung bereits nachhaltig angeregt. Die größte Überraschung erwartet den geneigten Fan jedoch bei „And We Run“, das sich anfangs mit Unterstützung von Geigenklängen und hintergründigem Bass noch merklich zurückhält. Kurz nach Ende des Refrains tritt jedoch kein Geringerer als US-HipHop-Ikone Xzibit aus dem Schatten und sorgt mit seinen Raps für eine so nicht erwartete Bereicherung des formvollendeten Bandsounds. Mit einer Mischung aus Aggressivität und Eindringlichkeit stellt er den souveränen Gegenpart zu Sharons weicheren Vocals dar, die sich allerdings keineswegs unterbuttern lässt.
Weitere Belege für die neugewonnene bzw. wiederentdeckte Härte sind das fordernde, über sechs Minuten lange „Tell Me Why“, für das die Leadsängerin im wahrsten Sinne des Wortes sämtliche Register zieht und eine Achterbahnfahrt der Oktaven durchlebt (oder eher -singt), sowie das mit seinen schaurig-schönen Shouts punktende „Silver Moonlight“. Als Grande Finale setzt es jedoch kein weiteres Metal-Gewitter, sondern mit „Whole World Is Watching“ einen melodiösen Rock/Pop-Song, der von der Form her auch auf dem Vorgänger einen Platz gefunden hätte. Als Feature Act fungiert hier Soul Asylum-Frontmann Dave Pirner, der eine ordentliche Portion Gefühl mitbringt, und zusammen mit Sharon und ihren Jungs eine weitere Facette dieser ungemein vielseitigen Band zum Vorschein bringt. Wer sich für die Deluxe Edition entscheidet, bekommt gleich vier weitere Tracks geliefert, bei denen es sich um äußerst gelungene Coverversionen von „Radioactive“ (Imagine Dragons), „Summertime Sadness“ (Lana Del Rey), „Let Her Go“ (Passenger) und – nicht minder reizvoll – „Dirty Dancer“ (Enrique Iglesias) handelt. Zudem darf man sich auf die Demos von „And We Run“, „Silver Moonlight“, „Covered By Roses“ und „Tell Me Why“ sowie in der iTunes-Version auf das brillante Musikvideo zu „Paradise (What About Us?)“ freuen.
„Sie ist einfach unbesiegbar – so wie wir“, meint Robert Westerholt augenzwinkernd zur omnipräsenten und sagenumwobenen Hydra, und man kommt nicht drum herum, ihm beipflichten zu wollen: Ihr mittlerweile sechstes Studiowerk steht für eine ungeheuer große musikalische Bandbreite, die sich nicht nur in der eigenen Stärke, sondern auch in der geschickten Auswahl der Gastmusiker und ihren Songs ausdrückt. Legte man beim Konzeptalbum „The Unforgiving“ den Wert auf ohrwurmtaugliche Stücke mit einem Hauch von Klassik, so werden hier die unterschiedlichsten Geschmäcker bedient und eine Art „Best of Within Temptation“ geboten, ohne den Fokus zu sehr auf Rückschau zu legen. Oder um es prägnanter auszudrücken: Sie werden einfach immer besser und besser.
Hydra
VÖ: 31.01.2014
BMG Rights Management (Rough Trade Distribution)
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