Motorpsycho – The All Is One

Durchatmen? Nachlassen? Über solche Pläne können Motorpsycho bestenfalls müde lächeln und beschließen stattdessen ihre Gullvåg-Trilogie, die eigentlich nicht als solche gedacht war. Und doch ergab sich diese irgendwann nach dem Release von „The Tower“ und „The Crucible“. Ursprünglich für das Frühjahr angedacht und, wie so viele andere Platten auch, kräftig verschoben, schlägt „The All Is One“ komplett über die Stränge: zwei CDs, 85 Minuten und ein auf zwei Seiten aufgeteiltes Monstrum, das die halbe Spielzeit beansprucht.
Besagtes Riesenwerk nennt sich „N.O.X.“, findet in gleich fünf Kapiteln statt und wurde mit Jazz-Gastmusikern aufgenommen. Das klingt eigentlich nur auf den ersten Blick wahnsinnig, denn schließlich stecken Motorpsycho hinter diesem Unterfangen. Der erste Abschnitt pendelt sich zwischen Psych-Schwanengesang und wilden Jazz-Styles ein: „Circles Around The Sun Pt. 1“ taumelt bestimmt in unheilvolles Chaos, von „Ouroboros“ schließlich in Jam-Extravaganz umgewandelt und in „Ascension (Strange Loop)“ durch wirre Welten gejagt. „Night Of Pan“ wagt sich in einer Viertelstunde besonders weit hinaus, sofern das bei Motorpsycho überhaupt noch möglich ist, arbeitet mit Loop-artigen Konstruktionen, steter Unruhe und meditativem Wahnsinn. Am Höhepunkt greift „Circles Around The Sun Pt. 2“ das anfängliche Motiv erneut auf und stürzt sich todesmutig atonale Klippen hinab. Der Rest ist Noise.
Während man diesen Husarenritt mit Free-Jazz-Ansätzen und verkappten Klassik-Elementen noch verdaut, sind die Norweger gefühlt bereits drei Türen weiter. Gerade zu Beginn des Albums setzt es vertraute Kost. „The Same Old Rock (One Must Imagine Sisyphus Happy)“ macht den Namen zum Programm mit gewohnter Prog-Psych-Mixtur, packenden Harmonien und dem steten Streben nach dem perfekten Moment – selbstreferenziell, aber stark. Das gilt auch für Anfang und Ende, „The All Is One“ und „Like Chrome“. Diese ausladenden, fast schon cineastischen Oden an weitläufige Songstrukturen kennt man, und doch reißen sie mindestens so mit wie das endlose Gitarrensolo von „Dreams Of Fancy“, dessen 70s-Schleifen großes Entzücken auslösen.
Eine Hälfte bewährt, die andere selbst für die Norweger mutig und vogelwild: „The All Is One“ bringt das Beste sämtlicher Motorpsycho-Welten zusammen. Natürlich ist diese Platte zu lang, zu komplex, zu mächtig, vielleicht sogar eine Spur zu herausfordernd. Zerlegt man das x-te Alben des Trios jedoch in seine Bestandteile, so erhält man majestätische Kost. Die „N.O.X.“-Suite hievt etwaige Jazz-Elemente auf ein neues Level und zeigt eindrucksvoll, dass Motorpsycho auch nach gut drei Jahrzehnten Bock auf frische(re) Ansätze haben. Rundherum setzt es zudem richtig gute Psych-Prog-Tracks auf gewohnt hohem Niveau. Auch wenn vielleicht der urgewaltige Knalleffekt des Vorgängers fehlt, so reiht sich auch „The All Is One“ mehr als souverän in den eindrucksvollen Katalog der Legenden aus dem hohen Norden ein.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 28.08.2020
Erhältlich über: Stickman Records (Soulfood Music)
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