Lehnen – Negative Space

Lehnen
(c) Lehnen

Vor einigen Jahren schrieben Die Ärzte ein Lied vom Scheitern. Lehnen machen ein ganzes Album daraus. Die drei Wiener klopfen nach gut sechs Jahren endlich wieder an und betrachten, wie sich die Angst vorm Scheitern in der heutigen Gesellschaft gestaltet, wie man im Konflikt mit sozialen Konstrukten und Erwartungen einen Platz sucht, ob und wie man das eigene Schicksal ändern kann und will. Dabei verbleibt stets etwas leerer Raum, ein „Negative Space“, der gefüllt werden will. Und genau das tun Lehnen mit ihren zehn neuen Tracks.

Wie sich das für die Wiener gehört, werden Erwartungen ad absurdum geführt, weil es solche nicht braucht. Der kunstvolle Ansatz, der Art Rock und Post Rock mit Ambient, Gaze und Alternative verbindet, äußert sich beispielsweise in „Lacuna“, das zugleich zentnerschwere Lasten freisetzt und dabei federleicht, geradezu sprunghaft bleibt. Gewisse Erinnerungen an die Deftones gehören hier zum guten Ton, das beinahe proggige Flirren zwischen den Sphären treibt die Dynamik des Tracks an. Stets zwischen verwaschener Brachialgewalt und zarter Sinnsuche pendelnd, entwickeln sich diese viereinhalb Minuten zu einem der großen Highlights des Albums.

Und es bleibt nicht das einzige: Der Titelsong öffnet die Schleusen ebenfalls, ohne sich jedoch auch nur annähernd zu verausgaben. Stets ist die Lehnen’sche Intensität greifbar, einer vorsichtig mäandernden Abfahrt gleich. In der Zäsur liegt die wahre Kraft, im ausgedehnten instrumentalen Einschub. „Hangman“ bricht den Ansatz sogar über weite Teile komplett auf Elektronik herunter, treibt die Entfremdung durch ein zunehmendes Gewirr der Stimmen voran. Hingegen nimmt „Elephant“ Art-Gaze-Intensität und packt (elektro-)poppige Harmonien dazu, die sich auf wundersame Weise festsetzen.

Der konsequente Verzicht auf lineare, vorhersehbare Strukturen zeichnete den Sound Lehnens schon immer aus. Nun passt er auch konzeptuell wie Arsch auf Eimer. Selbstverständlich gab es eine gewisse Erwartungshaltung, lange Pause hin oder her, doch meistern die Wiener eine solche mit bestechender Leichtigkeit. „Negative Space“ ist eine dieser Platten, die Geduld und Urvertrauen verlangen. Man muss gewillt sein, sich einfach fallen zu lassen, damit sich die Musik ausbreiten kann. Tatsächlich wurde es noch einen Ticken experimenteller und zugleich packender, in präzise ausgesuchten Momenten einprägsamer. Wie das geht – keine Ahnung. Auch egal: Welch Freude, dass es Lehnen gibt, gerade nach diesem kleinen Meisterwerk.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 17.09.2021
Erhältlich über: Noise Appeal Records (Rough Trade)

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