The Murder Capital – Gigi’s Recovery

The Murder Capital
(c) Marcus Prouse Jr.

Ihren Einstand schrieben The Murder Capital innerhalb der ersten neun Monate ihrer Existenz. „When I Have Fears“ etablierte die Iren von heute auf morgen als neue Größe im weiten Post-Punk-Universum. Für den Nachfolger hatte man unerwartet viel Zeit, und die war auch dringend nötig. Die anfängliche Leichtigkeit verschwand, man musste erst einmal mit der neuen, der eigenen Identität zurechtkommen. „Gigi’s Recovery“ ergab sich in einem zweijährigen Songwriting-Prozess, fand sich nur schleppend und zeigt das Quintett dafür von einer ganz anderen Seite. Eine neue Atmosphäre wird vollmundig angekündigt, und das kommt tatsächlich auch hin.

Von den beiden Fragmenten „Existence“ und „Exist“ eingerahmt, begleiten elementare Fragen ein maximal im Entstehungsprozess schweres zweites Album. „Ethel“ bringt den Status Quo prima auf den Punkt, stolpert noch tiefer in die Düsternis der eigenen Existenz – da ist dieses Wörtchen schon wieder – und sucht zugleich nach Erkenntnissen. Je länger der Song dauert, desto intensiver fällt die Instrumentierung aus. Erinnerungen an Interpol kommen nicht von ungefähr, das Umschalten nach drei Minuten geht ins Ohr, unter die Haut.

In weiterer Folge loten The Murder Capital ihre neuen Möglichkeiten, ihre Songwriting-Chops aus. „We Had To Disappear“ deutet den erwartungsvollen Vorhof der Ermattung von Holy Esque in schrubbende, basslastige Post-Punk-Weisheit um, müht sich nach vorne und geht in dieser Anstrengung auf. Davon hat auch „Crying“ einiges zu bieten, zittert sich an vorderste Front und lässt elektronische Einschübe nur langsam hinter sich. Die lebhafte Gitarre läutet ein fatalistisches Crescendo ein. Am anderen Ende des Albums wartet der Titelsong, der ebenso auf stetige Steigerung setzt, bloß um Welten lauter und unwirklicher. Anstatt Monumentales loszutreten, folgt höchst gelungene Introspektive.

Selbstbewusste Seltsamkeit macht den Zweitling letztlich über jeden Zweifel erhaben. Ja, es dauert tatsächlich etwas, bis „Gigi’s Recovery“ seine volle Strahlkraft entfaltet, aber das ist auch absolut in Ordnung. The Murder Capital erklären den schwierigen Entstehungsprozess zum steten Begleiter, finden über Kampf in diese neue Platte hinein und fahren die Ellenbogen aus. In einem Meer aus Düsternis und Seelensuche finden die Iren ein neues, altes Selbst mit erweitertem Bewusstsein. Deutlich mehr Tiefgang, überraschende Details und geschicktes Songwriting machen The Murder Capital endgültig zu jungen Meistern ihres Fachs, (verdienter) Hype hin oder her.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 20.01.2023
Erhältlich über: Human Season Records / ADA (Warner Music)

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