Tocotronic – Golden Years

Bricht tatsächlich ein goldenes Zeitalter an? Im Fall von Tocotronic ist selbstverständlich nichts so, wie es zunächst scheint, und das beginnt bereits beim Titel ihres 14. Studioalbums, exakt 30 Jahre nach dem Einstand. Zudem ist man erstmals seit zwei Jahrzehnten wieder als Trio in Originalbesetzung unterwegs, nachdem sich Rick McPhail, der an der aktuellen Platte noch mitwirkte, eine Auszeit auf unbestimmte Zeit nahm. „Golden Years“ bemüht eine Zweideutigkeit, die sich durch weite Teile eines Albums voller Gegensätze zieht, die in ihrer Zweigleisigkeit durch kreative Rückgriffe nach vorne blickt.
Der Titel ist zugleich ein Verweis auf L’age d’or, wo die ersten Alben erschienen, und so darf es nun ab und an richtig schön flott nach vorne gehen. „Ein Rockstar stirbt zum zweiten Mal“ bringt eine moderne Form früher ungeschliffener Kanten ein, nun etwas abgerundet und doch so unmittelbar. Dass im direkten Anschluss „Denn sie wissen, was sie tun“ ein wichtiges politisches Statement abgibt, passt ins Bild. Man weiß genau, um wen es geht, ohne dass Tocotronic jemals genauer darauf eingehen. Das flotte, verwegene „Vergiss die Finsternis“ macht in aller Kürze ordentlich Druck und klingt dabei herrlich eingängig – ein sympathischer Spagat.
Hingegen überrascht „Bleib am Leben“ mit der einen oder anderen Floskel, die man von Tocotronic länger nicht gehört hat, die man mit radiofreundlicher Altersmilde verwechseln könnte. Der folgende Titelsong bringt Widersprüche in ein possierliches Biedermeier-Arrangement und reißt den doppelten Boden mit dem Schürhaken auf. Mächtig Distortion inmitten himmlischer Melodik, damit bemüht sich „Mein unfreiwillig asoziales Jahr“ um eine Form von Wahnsinn, die „Wie ich mir selbst entkam“ sukzessive ins Langformat drückt. Virtuose Gitarrenarbeit mit krautig-psychedelischen Untertönen kennt man von Tocotronic natürlich, ebenso wie das sarkastische Augenzwinkern von „Bye Bye Berlin“, das eine kaputt gesparte Stadt in den Abgrund starren lässt.
Tocotronic wagen sich auf eine kleine Zeitreise von geradezu sympathischen Ausmaßen, die natürlich nie an die drastische Intensität der Anfangszeiten anknüpft, dennoch stellenweise so unmittelbar und direkt wie lange nicht wirkt. Und dann wieder ganz und gar nicht, wenn (Chamber-)Pop, etwas Psych und Kraut sowie moderne Indie-Weisheiten das Heft ganz fest in die Hand nehmen. „Golden Years“ dockt bei so ziemlich jeder Phase an und ist doch fest im Hier und Jetzt verankert, liebt seine kleinen und großen Gegensätze, seine Widersprüche und Sollbruchstellen. Einmal mehr spielen Tocotronic ihre Stärken aus, während sie in eine spannende neue Phase ihrer Karriere eintreten. In dieser Form könnte diese tatsächlich golden ausfallen.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 14.02.2025
Erhältlich über: Epic Records Germany (Sony Music)
Website: www.tocotronic.de
Facebook: www.facebook.com/Tocotronic