Spielbergs – Vestli

Spielbergs
(c) Johan Malvik

Mit drei hochkarätigen Releases binnen 18 Monaten spielten sich Spielbergs frei und debütierten höchst eindrucksvoll. Und doch singen die Norweger nun plötzlich vom Gefühl des Gefangenseins, was zu ihrem gerne lärmenden Alternative-Sound mit Punk- und Emo-Einschlägen auf den ersten Blick nicht so recht zu passen scheint. Laut Sänger und Gitarrist Mads Baklien geht es darum, im eigenen Kopf, in den eigenen Gedankenwellen gefangen zu sein, von Bedauern, Sorgen und Ängsten zerfressen, regelrecht lahmgelegt zu werden. „Vestli“ ist der Titel des zweiten Albums und zugleich jener Vorort Oslos, in dem Baklien und Bassist Stian Brennskag aufwuchsen. Das Credo: Selbst wenn man Vestli verlassen kann, verlässt einen Vestli nie.

Alleine das Eröffnungstrio ist bereits ein Happening. Wie Christian Løvhaug sein Kit verprügelt, um „The New Year’s Resolution“ anzutreiben, macht Laune. Es ist ein Track wie ein Statement, bissig und laut, zugleich voller Harmonien und eingängiger Momente mitten im angepunkten Dickicht. Nahtlos knüpfen Spielbergs mit „When They Come For Me“ an diesen Wahnsinn an, wobei ‚Wahnsinn‘ wörtlich zu nehmen ist: Baklien steht kurz davor, verrückt zu werden, und nimmt dichte Pop-Harmonien mit kurzzeitigem Dosen-Streicher-Einsatz mit auf die gemächliche, dennoch eindringliche Reise. Schließlich setzt „Every Living Creature“ noch einen drauf und treibt die eigenen Befindlichkeiten durchs Dorf bzw. durch den Vorort, so lautstark wie pulsierend.

Der Rest der Platte kann mit dieser anfänglichen Energieleistung glücklicherweise mithalten. Dabei erscheint „Brother Of Mine“ zunächst leicht gehemmt bis schwerfällig, scheint nur schwer aus dem Quark zu kommen, obwohl es in diesen gut vier Minuten brodelt. Unbequeme Midtempo-Konzepte kollidieren mit Noise-Harmonielehre. „You Can Be Yourself With Me“ setzt hingegen auf vollkommene Übertreibung, denn in knapp acht Minuten wechseln herrlich widersprüchliche Parts einander ab: die Power-Ballade, der missmutige College-Rock von Dinosaur Jr., das hochtrabende Biffy Clyro-Momentum. Im Vergleich dazu wirkt „Me And My Friends“ fast schon konventionell, lebt von seinem schier endlosen Drive und den knackigen Power-Chords.

Tatsächlich haben es Spielbergs geschafft und ihre ersten Releases noch einmal getoppt. Mehr noch, „Vestli“ erreicht ein neues Level und realisieren das, was PUP mit ihrer jüngsten musikalischen Öffnung zumindest versuchten. Selbstverständlich findet sich alles, was die bisherigen Platten stark machte, auch hier wieder, bloß wirkt das Trio doppelt und dreifach aufeinander eingespielt. Stete Nervosität, wenngleich in harmonische Bahnen gelenkt, tritt Unruheherde und Ohrwürmer – meist in einem – los, bemüht anspruchsvolle und fragile Strukturen, aber auch pure Wucht und Dissonanz, ohne dabei Kunstgriffe zu bemühen. Mit ihrem zweiten Album lassen Spielbergs eine Wuchtbrumme auf die Welt los, die noch lange nachhallen wird.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 19.08.2022
Erhältlich über: Big Scary Monsters (Membran)

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