Everything Is Recorded – Temporary

Everything Is Recorded
(c) Aliyah Otchere

Ob als DJ-Legende als Kicks Like A Mule, als Produzent oder als Inhaber von XL Recordings: Richard Russell ist eine Alternative- und Electro-Gallionsfigur. Seit einigen Jahren unterhält er zudem ein kleines, aber mehr als feines Musikprojekt, für das er unzählige Stimmen und Wegbegleiter vereint. Everything Is Recorded nennt sich das kollaborative Unterfangen, das auf den bisherigen Releases vor allem dem Rhythmus verschrieben war. Nun ändert sich das jedoch, denn nach einem spirituellen und textlichen Gedankenexperiment, das Analoges und Digitales mit Abhandlungen über Trauer und Verlust verbindet, rückt „Temporary“ die Melodie in den Mittelpunkt.

Einmal mehr kann sich die Gästeliste wieder sehen lassen, selbstverständlich mit der einen oder anderen Überraschung versehen. Dazu zählt ohne Frage Florence Welch (Florence + The Machines), die gleich doppelt zu hören ist. Das fantastische „Never Felt Better“, unter anderem mit Dauergast Sampha, verbindet Folk und Soul in reduzierten Gefilden, erst balladesk, dann mit Beat-Einsatz nach und nach in Richtung Gospel aufbrechend. Auch „Firelight“, Welchs zweiter Beitrag, ist richtig stark, wenngleich komplett anders. Komplette Reduktion, Spoken-Word-Parts, ätherischer Gesang und beklemmende Raps machen den Song mit Alabaster DePlume und BERWYN zur meditativen Grenzerfahrung.

Songwriter Bill Calahan wollte hingegen explizit für Noah Cyrus schreiben. Diese vielleicht nicht naheliegende, dennoch richtig gute Kollaboration nennt sich „Porcupine Tree“, spielt sogar mit Country- und Americana-Einflüssen und zwei konträren wie fantastisch harmonierenden Stimmen. In „Norm“ wird hingegen die viel zu früh verstorbene Stand-up-Ikone Norm Macdonald gesampelt, begleitet von Callahans mächtigem Requiem. An anderer Stelle punktet „No More Rehearsals“ mit leichter, poppiger Melodik und geschickt verschleppten Beats. Dass hier so unterschiedliche Musiker*innen wie Roses Gabor, Jah Wobble, Jack Penate und Yazz Ahmed mitmischen – ebenso fantastisch wie der folkige RnB von „My And Me“.

Leicht ist hieran nichts, nicht nur aufgrund des trauernden roten Fadens. Richard Russell hat einmal mehr große Stimmen und spannende Newcomer zusammengetrommelt, geht mit Everything Is Recorded aber bewusst andere Wege. Von den rhythmuslastigen Vorgängern ist sehr wenig zu hören, doch funktioniert dieser frische, generalsanierte Ansatz mit Folk-Schwerpunkt und Reduktion ebenso richtig gut. „Temporary“ setzt sich intensiv mit der Vergänglichkeit auseinander und lässt höchst unterschiedliche Künstler*innen mit ebenso unterschiedlichen Erfahrungsschätzen zusammenfinden. Selten klang schwere Kost so leichtfüßig.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 28.02.2025
Erhältlich über: XL Recordings / Beggars Group (Indigo)

Website: everythingisrecorded.com
Facebook: www.facebook.com/xlrecordings